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Deutungsstreit über die Last der Vergangenheit

Mar 13, 2024 Herstellung

Österreich soll zum 100. Jahrestag der Republikgründung im November nach deutschem Vorbild ein „Haus der Geschichte“ bekommen. Doch es gibt Unklarheiten und gravierende Meinungsverschiedenheiten. Die Auseinandersetzung spiegelt wider, dass im Land selbst über historische Grundfragen kein Konsens herrscht.

Österreich: Neue Burg der Hofburg zu Wien (dpa / picture alliance / Daniel Kalker)

Es wird viel gehämmert, getragen, aufgestellt, aber auch viel diskutiert in den ehrwürdigen Sälen der Wiener Hofburg.
„Alles in der Bandbreite von, natürlich, österreichischen Berühmtheiten, deren Position zur Geschichte wir zeigen, bis hin beispielsweise zum sogenannten Waldheim-Pferd, der ganz großen Protestskulptur, die wird raumfüllend sein.“
Noch rund zwei Wochen ist es hin, dann eröffnet, auf den Tag genau 100 Jahre nach der Ausrufung der Republik am 10. November 1918, hier das neue „Haus der Geschichte“ Österreichs.

Strenggenommen ist es gar kein Haus, bloß eine Etage, ein wenig verloren in der riesigen Residenz der Habsburger-Kaiser. Und diskutiert wird auch nur hier, im „Haus der Geschichte“ selbst, wo nun österreichische Selbstsicht und Zeitgeschichte verhandelt werden soll.
FPÖ hüllt sich in Schweigen
Knapp ein Jahr nach dem spektakulären Machtwechsel nach rechts und ultrarechts ist es hinter Österreichs politikhistorischen Kulissen ansonsten erstaunlich ruhig. Den Anspruch, als historische Autorität aufzutreten, will Direktorin Monika Sommer erst gar nicht erheben.
„Was sich auch heute dramatisch verändert hat an der Idee des Museums, ist dass das Museum nicht mehr die alleinige Deutungshoheit über die Geschichte hat.“
Nicht das Ergebnis einer Diskussion soll die Ausstellung zeigen, sondern diese vielmehr erst möglich machen.
Die Historikerin Heidemarie Uhl, die dem internationalen wissenschaftlichen Beirat des Hauses angehört: „Die Ausstellung wird auch zu einem Reibebaum werden. Ich denke, das ist auch ihre Funktion, dass man sich an der österreichischen Geschichte auch in neuer Form, mit neuen Diskussionen gewissermaßen abarbeiten kann. Und so einen Ort braucht es.“
Noch jedenfalls umgibt das Projekt eine geradezu gespenstische Stille. Die rechte FPÖ, die in das Vorhaben weder direkt noch indirekt eingebunden ist, sich ansonsten aber mit Verve in jede Debatte stürzt, hüllt sich zum „Haus der Geschichte“ in Schweigen.
Vielleicht komme die Kritik ja noch, meint Eva Blimlinger, die Rektorin der Akademie der bildenden Künste und eine der wenigen Kritikerinnen des Projekts. Aber: „Nur glaube ich, dass jetzt schon absehbar ist, in ein bisschen vorauseilendem Gehorsam, dass die Darstellung so sein wird, dass sie eben politisch nicht kontroversiell sein wird. Das ist genau das Drama dran.“
Museum auf Bewährung
Vor vier Jahren machte der damalige Kulturminister Josef Ostermayer, ein Sozialdemokrat, die seit Urzeiten gewälzten Pläne für ein Österreich-Museum konkret. Doch seither ist das Vorhaben Stück um Stück geschrumpft. Erst war noch von einem Haus die Rede, dann war es nur noch die Etage. Monatelang wurde gestritten, ob man um des neuen Hauses willen der Sammlung alter Musikinstrumente einen Umzug zumuten könne. Nach Ostermayers Abschied anderthalb Jahre später fehlte es dann erst recht am Willen. Sein Nachfolger Thomas Drozda, ebenfalls Sozialdemokrat, verringerte dann noch einmal die räumlichen und finanziellen Dimensionen des Projekts – wegen des Koalitionspartners, sagt er.
„Es war der Widerstand der ÖVP, der sich immer hinter finanziellen Argumenten versteckt hat, groß genug.“
Skeptisch beäugt auch die neue Regierung das „Haus der Geschichte“. Der heutige Kulturminister Gernot Blüml von der konservativen ÖVP will sich zu dem Haus, das größtenteils in sein Ressort fällt, gar nicht äußern.
Beirats-Mitglied Heidemarie Uhl: „Es wird in Aussicht gestellt eine Evaluierung des Projektes.“
Ein Museum auf Bewährung – mit dünner personeller Ausstattung ins Rennen um die Publikumsgunst geschickt. Nicht einmal für eine Dauerausstellung, wie sie jedes noch so kleine Land Mitteleuropas im Nationalmuseum hat, reichten Platz und Geld. Stattdessen soll anderthalb Jahre lang eine – ebenfalls dürftig alimentierte – Sonderausstellung zu „100 Jahren Republik“ gezeigt werden. Titel: „Aufbruch ins Ungewisse“.
Das Verhältnis zu Deutschland im historischen Wandel
Auszustellen, vorzuführen, zu diskutieren gäbe es allerdings gerade jetzt mehr als genug. Im November 2017 hat Österreich seine bisher schärfste politische Wende erlebt. An solchen Bruchpunkten beginnt meistens auch der Versuch, Geschichte neu zu erzählen. Und etliches an den ersten 100 Jahren der Republik Österreich ist, wenn nicht offen, dann doch zwiespältig – etwa das Verhältnis zu Deutschland.
„Also erst in den 70er-Jahren sagt die Mehrheit der Österreicherinnen und Österreicher auf der Straße: Wir sind Österreicher und nicht Deutsche“, erklärt der Innsbrucker Historiker Dirk Rupnow.
Zwischen den Weltkriegen, in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, verstehen sich Österreicher ganz eindeutig als Deutsche: Sozialdemokraten und Nationalliberale treten für den Anschluss an Deutschland ein. Das ändert sich auch nicht, als 1933 in Berlin die Nazis an die Macht kommen.
„Selbst die, die behaupten, dass Österreich eigenständig sein muss, neben NS-Deutschland, sagen: Das ist ein deutscher Staat.“
Ein harter Kern der heute mitregierenden Freiheitlichen definiert die Österreicher bis heute als Deutsche, nicht als eigenständige Nation.
Nazizeit als Teil der österreichischen Geschichte
Wo man in Deutschland die heiklen Punkte im österreichischen Geschichtsbewusstsein vermutet, liegen sie dagegen eher nicht, erklärt Stefan Benedik, einer von drei Kuratoren der Ausstellung im „Haus der Geschichte“. Entgegen dem deutschen Vorurteil ist auch das Verhältnis zum Nationalsozialismus nicht mehr strittig.
Hier markiert 1986 eine Zeitenwende: Der Präsidentschaftskandidat Kurt Waldheim wurde als früherer SA-Mann entlarvt, es gab einen internationalen Skandal. Waldheim behauptete nicht nur, von den Nazi-Verbrechen nichts gewusst zu haben – und fühlte sich allein, weil er Österreicher war, von vornherein exkulpiert. Mit der bis dahin verbreiteten Erzählung von Österreich als erstem Opfer des Nationalsozialismus war es danach weitgehend vorbei.
Stefan Benedik ist stolz, dass seine Ausstellung die Nazizeit erstmals als Teil der österreichischen Geschichte zeigt. Früher habe man eine bruchlose Geschichte erzählt, oft beginnend mit dem Mittelalter.
„Und diese lineare, kontinuierliche Geschichte, die wird dann unterbrochen von 38 bis 45 als vorgestellte Fremdherrschaft.“
Wobei die Österreicher auf unzähligen Kriegerdenkmälern aus der Nachkriegszeit die Helden priesen, die „für die Heimat“ gefallen seien, nicht etwa für fremde Herrscher.

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